In Deutschland wurden seit den 1950er-Jahren bis zur Beendigung der Ablagerung unbehandelter Siedlungsabfälle im Juni 2005 große Mengen an organischen und biologisch abbaubaren Restabfällen auf Siedlungsabfalldeponien abgelagert. Auf den alten Siedlungsabfalldeponien entsteht durch die biologische Umsetzung der organischen Reststoffe Deponiegas mit einem Methananteil von rund 45 %, das sich in Blockheizraftwerken zur dezentralen Energieversorgung von Entsorgungsstandorten nutzen lässt. Mit dem fortschreitenden Abbau der Organik nimmt der Anteil an Methan im Deponiegas allerdings weiter ab und lässt sich bei einem Methananteil von weniger als 30 % nicht mehr in herkömmlichen Blockheizkraftwerken energetisch verwerten. Damit ist die standorteigene Produktion von Strom und Wärme aus Deponiegas endlich, sodass Betreiber von Deponien und angegliederten Entsorgungszentren künftig auch auf andere erneuerbare Energien wie Photovoltaik, Windkraft und Biogas zur Eigenversorgung angewiesen sind. Aber gerade im Hinblick auf Photovoltaik und Windkraft müssen Stromspeicher oder speicherbare Energieträger bei der dezentralen Energieversorgung an Entsorgungszentren und Deponien mitberücksichtigt werden, um die tages- und jahreszeitlichen natürlichen Schwankungen auszugleichen. Neben dem Biogas ist Wasserstoff ein vielversprechender speicherbarer Energieträger, der sich auf vielfältige Weise dezentral erzeugen und in vielen Bereichen der kommunalen Wirtschaft nutzen lässt. Die Erzeugung von Wasserstoff aus regional verfügbaren und standortbezogenen Ressourcen sollte dabei für die Kreislaufwirtschaft im Vordergrund stehen.

Luftbild Projektstandort metabolon

In Deutschland fallen durchschnittlich 476 kg Siedlungsabfälle je Einwohner an , die im Sinne der Kreislaufwirtschaft an Entsorgungsstandorten einer stofflichen oder thermischen Verwertung zugeführt werden. Besonders die biogenen Reststoffe, die nicht in der klassischen Vergärung einer Biogasanlage genutzt werden können, sowie die nicht einfach recycelbaren Abfälle wie Verbundstoffe sind geeignete Ressourcen zur dezentralen Erzeugung von Wasserstoff. Der aus Reststoffen erzeugte klimaneutrale Energieträger Wasserstoff wird zur Einsparung von CO2-Emissionen und zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele sowie zur Entwicklung einer kommunalen Wasserstoffwirtschaft beitragen. Hierfür besteht allerdings noch ein erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf.

Forschung und Entwicklung ist der Schlüssel zu nachhaltigen Konzepten

Der Bergische Abfallwirtschaftsverband (BAV) verfolgt auf der Deponie Leppe im nordrhein-westfälischen Lindlar und dem angegliederten Entsorgungszentrum das Konzept der dezentralen Energieversorgung und der Nutzung von regionalen und standortverfügbaren Ressourcen. Mit dem Projekt :metabolon wurde im Rahmen der REGIONALE 2010 auf dem Gelände der ehemaligen Zentraldeponie Leppe gemeinsam mit der Technischen Hochschule Köln ein Forschungs- und Lehrstandort etabliert, der sich mit dem nachhaltigen und innovativen Umgang von (regionalen) Ressourcen beschäftigt. Neben der reinen technologischen Machbarkeit neuer innovativer Verfahrens- und Prozessketten hat die Forschung am :metabolon Institut auch die Bereiche der ökonomischen und ökologischen Wirksamkeit, des administrativen Rahmens und die gesellschaftliche Akzeptanz im Fokus. Dabei wird eine gesamtheitliche Strategie verfolgt, welche die genannten gesamtgesellschaftlichen Bereiche zur Entwicklung und Etablierung von nachhaltigen Lösungsansätzen miteinander verknüpft. Im Zuge der dezentralen Erzeugung von Wasserstoff aus regional verfügbaren und standortbezogenen Ressourcen kommen mehrere innovative Verfahrensketten für die Kreislaufwirtschaft in Betracht, die am Institut technologieoffen erforscht und entwickelt werden. Die Forschungsthemen umfassen hierbei u.a. die Umwandlung von Deponiegas zu Wasserstoff, die Speicherung von Überschussstrom in gasförmigen Energieträgern sowie die Abscheidung von Wasserstoff bei der thermochemischen Rückgewinnung von Wertstoffen aus biogenen und abfallstämmigen Reststoffen.

Hochreiner Wasserstoff aus Deponiegas

Auf den alten Siedlungsabfalldeponien entstehen weiterhin - infolge anaerober Abbauprozesse der abgelagerten organischen Reststoffe - Deponiegase mit einem durchschnittlichen Methangehalt von 45 % im Deponiekörper. Diese Emissionen werden in einer Deponieentgasungsanlage aufgefangen und mit nachgeschalteter motorischer Gasverwertung in Blockheizkraftwerken in elektrische und thermische Energie umgewandelt. Wie vorab beschrieben, sinkt der Methananteil mit fortschreitender biochemischer Umsetzung der Organik im Deponiekörper, sodass andere Verwertungswege für dieses niederkonzentrierte Deponiegas gefunden werden müssen.

Im Februar 2022 haben der Bergische Abfallwirtschaftsverband und der Grazer Wasserstoffspezialist Rouge H2 Engineering (RGH2) auf der Deponie Leppe gemeinsam einen Forschungsreaktor zur Umwandlung von Deponiegas zu hochreinem Wasserstoff in Betrieb genommen. Ziel des gemeinsamen Vorhabens von BAV und RGH2 ist es, die technoökonomische Umsetzung von Deponiegas zu Wasserstoff abzuschätzen und potenzielle Auswirkungen der Deponiegaskomponenten auf die Wasserstoffproduktion im Realgasbetrieb zu untersuchen. Als finale Ergebnisse der Pilotphase werden Realgasdaten und eine Machbarkeitsstudie hinsichtlich der Wasserstoffproduktion aus Deponiegas erwartet. Das Vorhaben wird die dezentrale Erzeugung von hochreinem Wasserstoff aus Deponiegas erproben und bis zur Markteinführung weiterentwickeln. Der aus Deponiegas umgewandelte Wasserstoff kann zukünftig in zweierlei Hinsicht genutzt werden.

Einerseits kann der Wasserstoff zur Heizwertsteigerung bei der Deponiegasverwertung in Blockheizkraftwerken eingesetzt werden. Dies ist besonders für Deponiebetreiber mit niederkonzentriertem Deponiegas mit einem Methananteil von weniger als 30 % vorteilhaft, da sie zur weiteren Verwertung dieses „Schwachgases“ sonst in neue Motoren zur Strom- und Wärmeproduktion investieren müssten. Das angedachte Konzept sieht vor, dass ein Teilstrom des niederkonzentrierten Deponiegases aus der Deponie zu Wasserstoff umgewandelt und dem Hauptgasstrom zum Blockheizkraftwerk hinzugemischt wird, um dort den Heizwert anzuheben. Hierdurch würden sich die Blockheizkraftwerke auch mit abnehmendem Methananteil im Deponiegas noch länger betreiben lassen. Aber auch an Deponien mit einem hohen Methananteil im Deponiegas kann die Umwandlung eines Teilstroms zu Wasserstoff die Leistung an den Blockheizkraftwerken steigern.

Andererseits lässt sich bei entsprechenden Deponiegasmengen der hochreine Wasserstoff auch im Mobilitätsbereich anwenden. Hier liegt der Fokus insbesondere auf der Betankung von Brennstoffzellen-Nutzfahrzeugen wie Müllsammelfahrzeugen oder regionalen Buslinien. Nach dem erfolgreichen Testbetrieb wird von den Projektpartnern eine großtechnische Demonstration zur Umwandlung von Deponiegas zu Wasserstoff für Mobilitätsanwendungen angestrebt. Dabei sieht das Konzept vor, dass die Deponie Leppe mit dem angegliederten Entsorgungszentrum in ein Netzwerk der Wasserstoffregion Bergisches Rheinland integriert ist und als einer von vielen dezentralen Standorten zur Wasserstoffversorgung der kommunalen Wirtschaft dient. Zur Deckung des künftig hohen Wasserstoffbedarfs müssen aber auch weitere Ressourcen und Technologien zur Wasserstofferzeugung in Betracht gezogen werden. Hier bieten sich auch die Speicherung von Photovoltaikstrom sowie die Abscheidung von Wasserstoff aus der thermochemischen Rückgewinnung von Wertstoffen an.

Biologische Methanisierung und Speicherung von Überschussstrom

Auch mit dem Verfahren der biologischen Methanisierung unter Verwendung von Wasserstoff soll der Problematik der sinkenden Methangehalte im Deponiegas entgegengewirkt werden. Ziel der biologischen Methanisierung ist es niederkonzentriertes Deponiegas mit einem Methananteil von weniger als 30 % unter Zugabe von Wasserstoff und CO2 im Verhältnis 4:1 auf bis zu 98 % Methananteil anzureichern. Bei diesem Verfahren nutzen Mikroorganismen die Energie aus dem Wasserstoff, um das CO2 zu reduzieren und in Methan umzuwandeln. Aktuell wird das Deponiegas auf Deponien mittels Blockheizkraftwerken zur Erzeugung von Strom und Wärme genutzt. Mit zunehmendem Deponiealter sind die organischen Bestandteile im Deponiekörper weitestgehend über biochemische Umwandlungsprozesse reduziert, sodass auch der Methangehalt im Deponiegas abnimmt und nicht mehr energetisch in den Blockheizkraftwerken genutzt werden kann. Zukünftig wäre für dieses sogenannte Schwachgas lediglich eine thermische Verwertung mittels einer Gasfackel möglich, wodurch Energie verloren geht. Zusammen mit dem Industriepartner microbEnergie der Viessmann Group wird am :metabolon Institut erforscht, wie mit der biologischen Methanisierung der Methangehalt im Deponiegas angehoben werden kann. Langfristig soll der dafür benötigte Wasserstoff über Wasserstoffelektrolyse unter Verwendung von Strom aus Photovoltaikanlagen erzeugt werden. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass sich der Überschussstrom aus Photovoltaikanlagen in Form eines gasförmigen Energieträgers speichern und damit zur Versorgung der Grundlast einsetzen lässt. Der zusätzliche Schritt der biologischen Methanisierung ermöglicht zudem die Produktion von Biomethan, welches sich ins Erdgasnetz einspeisen oder als Kraftstoff in Erdgasfahrzeugen nutzen lässt. Darüber hinaus besteht an vielen Entsorgungszentren bereits eine Erdgasinfrastruktur, die mit der biologischen Methanisierung genutzt werden kann.

Abscheidung von Wasserstoff aus der thermochemischen Rückgewinnung von Wertstoffen

Die thermochemische Stoffwandlung beschäftigt sich mit der stofflichen und energetischen Verwertung von Reststoffen durch Hochtemperaturprozessketten. Ziel der Forschung am :metabolon Institut ist es die Stoffkreisläufe für die regenerative Energie- und Rohstoffbereitstellung aus Reststoffen sowie für die Rückgewinnung von werthaltigen Werkstoffen zu schließen. Als Teil dieser Hochtemperaturprozessketten sind besonders die Verfahren der Vergasung und Pyrolyse dazu geeignet Wasserstoff aus biogenen und abfallstämmigen Reststoffen bereitzustellen. In beiden Verfahren werden hochwertige Karbonisate und Synthesegase sowie Syntheseöle erzeugt. Diese Stoffe können als Sekundärrohstoffe bspw. in der chemischen Industrie verwendet werden. Aus dem Synthesegas beider Verfahren lässt sich Wasserstoff über Adsorptionsverfahren in hochreiner Form abscheiden und anschließend speichern. Das :metabolon Institut erforscht und entwickelt im Sinne der Kreislaufwirtschaft innovative Prozessketten, die eine Verwertung möglichst vieler, unterschiedlicher Reststoffe ermöglichen. Die daraus entstandenen Produkte dienen anschließend zur Substitution fossiler Energieträger. Neben der Optimierung zur Rückgewinnung von Wertstoffen aus Restbiomassen und Abfällen, die wieder für neue Produkte eingesetzt werden können, steht im Fokus der Forschung des :metabolon Instituts auch die Bereitstellung von konfektionierten Synthesegasen, bei denen bspw. das Verhältnis von Wasserstoff, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid für eine anschließende Methanolproduktion verfahrenstechnisch angepasst wird. Das Synthesegas aus der Vergasung und Pyrolyse von regionalen Reststoffen lässt sich damit nicht nur rein energetisch oder zur dezentralen Versorgung mit Wasserstoff nutzen, sondern kann bei Bedarf auch wieder zur Produktion von chemischen Rohstoffen eingesetzt werden.

Ganzheitliche und regional integrierte Konzepte sind wichtig für die kommunale Wasserstoffwirtschaft

Die Forschungsaktivitäten des :metabolon Instituts und das Engagement des Bergischen Abfallwirtschaftsverbandes zur Etablierung einer dezentralen Wasserstoffversorgung aus regional verfügbaren und standortbezogenen Ressourcen zeigt die Vielfältigkeit der Möglichkeiten zur Erzeugung von Wasserstoff auf Deponien und Entsorgungszentren. Bei der Umsetzung bedarf es allerdings einer ganzheitlichen Betrachtung der technologischen Machbarkeit neuer innovativer Verfahrens- und Prozessketten, der ökonomischen und ökologischen Wirksamkeit, des administrativen Rahmens und der gesellschaftlichen Akzeptanz, nur so kann die Wasserstoffwirtschaft regional und überregional nachhaltig aufgebaut und zur Substitution von fossilen Energieträgern etabliert werden. Die Forschungsprojekte zeigen, dass regionale Reststoffe einen entscheidenden Beitrag zur dezentralen Versorgung mit Wasserstoff leisten werden und künftig dazu beitragen, dass Deponien und Entsorgungsstandorte weiterhin unabhängig in ihrer Energieversorgung bleiben können.

Im Rahmen des aktuellen NRW-Strukturförderprogrammes Regionale 2025 werden die vorbenannten Entwicklungen für das räumlich im Fokus stehende „Bergische Rheinland“ weiter vorangetrieben und die erlangten Erkenntnisse für eine praktische, wirtschaftliche Anwendung verfügbar gemacht.

Monika Lichtenhagen-Wirths, Geschäftsführerin, Bergischer Abfallwirtschaftsbetrieb, Engelskirchen

 

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