Der Deutsche Landkreistag fordert in der nächsten Legislaturperiode einen grundlegenden politischen Neuanfang in Deutschland. DLT-Präsident Landrat Dr. Achim Brötel sagte bei der Sitzung des Präsidiums im Lahn-Dill-Kreis (Hessen): „Die Zahl der Baustellen ist inzwischen so groß, dass nur noch eine Generalsanierung hilft. Es muss endlich Schluss sein damit, dass der Gesetzgeber so tut, als ginge es ewig so weiter wie bisher. Wer meint, auch morgen und übermorgen noch ein Füllhorn von Wohltaten oder ein Fass neuer Vorschriften ausgießen zu können, muss zwingend auch sagen, wer das am Ende überhaupt noch leisten und wer es vor allem bezahlen soll. Jeder Euro lässt sich nur einmal ausgeben und jede Fachkraft nur einmal einsetzen.“ Dabei gebe es für die Landkreise zentrale Eckpunkte: So müssten insbesondere der kommunale Umsatzsteueranteil deutlich erhöht, die Bürokratielasten zurückgeführt, der Sozialstaat zukunftsfähig reformiert und die Steuerung der Migration zurückgewonnen werden. „Wir müssen unseren Staat grundlegend neu ausrichten. Ein schlichtes ‚Weiter so‘ kommt nicht infrage.“
Einzelne kleinere Maßnahmen reichten nicht mehr aus, um die Handlungsfähigkeit nachhaltig zu sichern. „Wir müssen in aller Deutlichkeit sagen, was noch geht, was mit Blick auf die Zukunft vor allem aber eben auch nicht mehr geht. Dazu braucht es zuerst: Wir müssen uns endlich ehrlich machen. Tagträume mögen reizvoll sein, sie führen am Ende aber definitiv nicht weiter.“
Die kommunale Ebene dringt dabei, so Brötel, insbesondere darauf, dass ihre Arbeit endlich wieder auf finanziell tragfähige Füße gestellt wird. „Dass die Kreishaushalte bundesweit im freien Fall sind, ist kein Zufall. Wir sind in einem immer dichter werdenden Netz von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften gefangen, die an filigraner Ausdifferenzierung kaum mehr zu überbieten sind. Und: Die Landkreise werden zu allem Überfluss zunehmend auch noch als Ausfallbürgen einer Politik missbraucht, die die Lebenswirklichkeit offenbar mehr und mehr ausblendet. So etwas kann auf Dauer nicht funktionieren. Deutschland hat in den letzten Jahren ganz bestimmt kein Einnahmenproblem gehabt. Unser Problem sind vielmehr die vom Gesetzgeber verursachten Ausgaben. Das ist schlicht hausgemacht. Deshalb erwarten wir nach der Bundestagswahl endlich wieder eine deutlich kommunalfreundlichere Politik aus Berlin.“
„Wir haben die klare Erwartung, dass eine neue Regierungskoalition sehr zügig die richtigen und notwendigen Strukturentscheidungen trifft. Dazu muss man in Berlin aber auch bereit sein, sich endlich ehrlich zu machen und Prioritäten zu setzen. Der permanente Verschiebebahnhof – Berlin beschließt, die Kommunen sollen es bezahlen – muss ein Ende haben“. Die kommunale Ebene stehe 2024 vor dem mit Abstand höchsten Defizit seit der Wiedervereinigung, so Brötel. Das könne und das dürfe nicht mehr so weitergehen.
Der Bund müsse bei den vom Staat zu leistenden Aufgaben grundlegend umsteuern: „Leitgedanke muss dabei immer sein, wie man die Aufgaben mit perspektivisch weniger Personal überhaupt noch bewältigen kann. Die Kreisfinanzen sind bundesweit aufgrund sprunghaft wachsender Ausgaben im Keller und die Rücklagen aufgebraucht. Deshalb muss es jetzt schnell gelingen, die kommunalen Finanzen wieder auf ein solides Fundament zu stellen. Dazu braucht es einen schonungslos ehrlichen Blick auf die Lebenswirklichkeit, eine deutlich wirtschaftsfreundlichere Grundhaltung, weil ohne wirtschaftlichen Erfolg sonst auch die soziale Sicherung in Gefahr gerät, vor allem aber eine wesentlich stärkere Berücksichtigung der kommunalen Interessen. Wir sind am Ende immer diejenigen, die die Gesetze vor Ort ausführen. Man kann dem Esel, der jeden Tag den Karren zieht, aber nicht immer neue Pakete aufladen und ihm im selben Atemzug auch noch das Futter rationieren. Deshalb brauchen wir neben einer wirksamen Begrenzung des Ausgabenanstiegs auch eine dauerhafte und strukturelle Erhöhung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer, die unmittelbar den Landkreisen zugutekommt“.
Dass vor allem der überbordende Sozialstaat einer grundlegenden Neuausrichtung bedarf, sei offenkundig, so der DLT-Präsident: „Die stetig wachsende Komplexität, die übergroße Bürokratie, die vielfach bereits zu einer schleichenden Entmündigung der Praxis durch die blanke Theorie geführt hat, und die wechselseitigen Abhängigkeiten der verschiedenen Sozialleistungen haben ein kaum noch überschaubares Maß angenommen. Da sich eine Reform dieser Größe aber nicht ohne Weiteres im Handumdrehen erledigen lässt, sollte aus unserer Sicht – ähnlich dem Vorgehen bei der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe – in der neuen Legislaturperiode eine Fachkommission eingesetzt werden, in der Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft und Praxis strukturierte Lösungsvorschläge entwickeln. Das auf den Weg zu bringen, sollte zum Regierungshandeln der ersten 100 Tage gehören.“
Entscheidend ist es nach Überzeugung des Deutschen Landkreistages, sowohl den Sozialstaat zu vereinfachen und transparenter zu machen als auch die Menschen wieder sehr viel stärker zu befähigen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. „Die Arbeitsanreize sind in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen. Das hat umgekehrt zu ständig steigenden Sozialausgaben und zu immer weniger Eigengestaltung geführt. Hier ist dringend ein Umsteuern erforderlich. Dabei dürfen wirklich Bedürftige aber nicht allein gelassen werden. Selbsthilfe kann natürlich immer nur von denjenigen erwartet werden, die dazu tatsächlich auch in der Lage sind“, so Brötel.
Des Weiteren seien dringend Korrekturen in der Migrationspolitik notwendig. „Wir brauchen eine effektivere Begrenzung der irregulären Zuwanderung und insgesamt eine deutlich wirkungsvollere Steuerung der Migration. Die Menschen vor Ort nehmen sehr wohl wahr, dass unser Staat vielfach an seine Grenzen gekommen ist. Gleichzeitig steht für uns die humanitäre Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine außer Frage. Wenn der Kriegsverlauf allerdings dazu führen sollte, dass sich Millionen weiterer Menschen auf den Weg zu uns machen, müssen wir auch ganz klar sagen, dass unsere Möglichkeiten endlich sind.“
In finanzieller Hinsicht erwarten die Landkreise auch in diesem Zusammenhang zudem deutlich mehr Unterstützung vom Bund. „Bis 2021 hat der Bund die Unterkunftskosten für Geflüchtete, die Bürgergeld beziehen, komplett übernommen. Seit 2022 bekommen die Landkreise und Städte jetzt aber nur noch einen Anteil davon. Allein dadurch fehlen mittlerweile mehr als 7 Mrd. € in den kommunalen Kassen. Das ist aus kommunaler Sicht so nicht länger hinnehmbar. Außerdem erwarten wir von einer neuen Bundesregierung, dass sie die Fehlentscheidung, die ukrainischen Geflüchteten direkt in den Bürgergeldbezug zu bringen, endlich mit Wirkung für die Zukunft wieder korrigiert“, so Brötel abschließend.