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Wenn im Herbst in den 294 Kreistagen die Haushaltsberatungen für das nächste Jahr beginnen, wird einmal mehr das ganze Dilemma sichtbar werden: Ein Sozialstaat, bei dem die Politik in Bund und Ländern die Leistungen definiert, die die Städte, Landkreise und Gemeinden am Ende teuer zu stehen kommen. Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Landkreistag eine ehrliche Diskussion über die Neuausrichtung des Sozialstaates. Präsident Landrat Dr. Achim Brötel sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung (Freitagsausgabe): „Gerade die Schwachen brauchen ein starkes soziales Netz. Dafür treten die Landkreise ein. Auf der anderen Seite brauchen die öffentlichen Haushalte dringend eine Phase der Konsolidierung und eine Debatte über Einsparungen, um den Sozialstaat zukunftsfest zu machen.“ Auf einem derart hohen Kostenniveau könne es nicht mehr weitergehen. „Schon jetzt ist offenkundig, dass die Grenzen der Finanzierbarkeit erreicht sind. Deshalb müssen wir dringend auch über mehr Eigenverantwortung der Menschen sprechen; der fürsorgende Staat kann nicht alles richten. Da ist in den letzten Jahren leider manches verrutscht.“

Ein Beispiel dafür sei die Rentenpolitik, die offenkundig in die falsche Richtung laufe: „Die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 % bis 2031 birgt erhebliche finanzielle Risiken. Gleichzeitig will die Bundesregierung die Mütterrente sogar noch ausweiten. Das ist eine systemfremde Leistung. Dieses Geld haben wir nicht. Statt neuer Belastungen braucht es deshalb ein generationengerechtes, demografiefestes und bezahlbares Rentensystem. Dazu zählt insbesondere eine schrittweise Anpassung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung, etwa durch eine Koppelung der Regelaltersgrenze an die durchschnittliche Lebenserwartung“, so Brötel.

Daneben besteht z. B. beim Bürgergeld dringender Reformbedarf. „Das Bürgergeld hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter vom Gerechtigkeitsempfinden der arbeitenden Bevölkerung entfernt. Klar ist: Wer nicht arbeiten kann, sich qualifiziert oder einen Schulabschluss nachholt, muss unterstützt werden. Das stellt niemand infrage. Für alle anderen aber müssen die Arbeitsanreize deutlich gestärkt, Mitnahmeeffekte reduziert und Mitwirkungspflichten wieder mehr in den Vordergrund gerückt werden“, sagte der DLT-Präsident. „Das Bürgergeld ist gerade kein bedingungsloses Grundeinkommen.“

Dazu gehöre es auch, vorhandenes Vermögen auch unter 40.000 € pro Person vom ersten Tag an anzurechnen, was bislang nicht geschieht. Besonders kritisch sei außerdem, dass derzeit in den ersten anderthalb Jahren des Leistungsbezugs auch unangemessen große oder unangemessen teure Wohnungen über die Jobcenter aus Steuergeldern finanziert werden. „So etwas spaltet die Gesellschaft. Das arbeitende Paar, das sich zur Decke strecken muss, um sich eine angemessen große und angemessen teure Wohnung leisten zu können, trifft auf das Bürgergeld-Paar, das in einer unangemessen großen und unangemessen teuren Wohnung lebt, die vom Staat bezahlt wird. Das setzt nicht nur falsche Anreize, sondern es treibt auch das Mietniveau insgesamt nach oben. Es ist schwer vermittelbar, dass die Steuerzahler mit geringem Einkommen dies mitfinanzieren. Das ist deshalb eine wichtige Korrekturnotwendigkeit der Bürgergeldreform von 2023.“

Ein weiterer Schwerpunkt müsse auf einer konsequenteren Anwendung von Leistungskürzungen bei Pflichtverstößen liegen, die künftig schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden sollten. „In der Praxis sind es neben der relativ kleinen Gruppe der ‚Totalverweigerer‘ vor allem diejenigen, die Termine mit dem Jobcenter nicht wahrnehmen. Das macht einen geordneten und zielführenden Integrationsprozess bisweilen so gut wie unmöglich. Deshalb muss in diesem Bereich wieder deutlich mehr Nachdruck in das System“.

Es müsse aber auch um strukturelle Reformen gehen. „Wir brauchen deutlich mehr Deregulierung, Vereinfachung und einen Neuzuschnitt der Sozialleistungen“, betonte Brötel. „Die jetzt mit ihrer Arbeit beginnende Sozialstaatskommission auf Bundesebene gibt uns die Hoffnung, dass diese Fragen nicht länger tabuisiert, sondern konstruktiv und mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens angegangen werden.“

Die Vielfalt der Sozialleistungen und der extrem hohe Verwaltungsaufwand bei gleichzeitigem Personalmangel und steigenden Ausgaben stellten die Landkreise als Leistungsträger vor enorme Herausforderungen. „Die Kommission zur Reform des Sozialstaats hat daher die zentrale Aufgabe, das Nebeneinander der Leistungen neu zu ordnen und dabei auch unbequeme Fragen der Aufgabenkritik zu stellen“, so Brötel. „Entscheidend ist, dass die Kommission nicht nur verwaltungspraktische Verbesserungen erarbeitet, sondern auch eine grundlegende Neubestimmung des Sozialstaats anstößt – mit einer offenen Debatte über Standards und deren Finanzierbarkeit. Im Ergebnis muss das auf eine Sozialpolitik hinauslaufen, die handlungsfähig bleibt – für den Staat, für die Kommunen, vor allem aber für die Menschen vor Ort“, so der DLT-Präsident abschließend.

 

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