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Der Deutsche Landkreistag fordert eine konsequente Diskussion über die Neuausrichtung des Sozialstaates. Präsident Landrat Dr. Achim Brötel sagte nach der Sitzung des DLT-Präsidiums im Landkreis Gießen: „Es zeigt sich immer mehr, dass unser Sozialstaat dringend eine Generalüberholung braucht. Er ist zwar leistungsfähig, aber auch überkomplex und viel zu bürokratisch. Hinzu kommt ein Leistungsniveau, das die Lasten für die Landkreise als verantwortliche örtliche Träger in rasantem Tempo anwachsen lässt. Die öffentlichen Haushalte brauchen deshalb umgehend eine Phase der Konsolidierung und eine Debatte über Einsparungen, um den Sozialstaat zukunftsfest zu machen. Schon jetzt ist offenkundig, dass die Grenzen der Finanzierbarkeit überschritten sind. Wir müssen deshalb auch darüber reden, was noch zur Eigenverantwortung jedes Einzelnen gehört und wo der fürsorgende Staat unterstützen muss. Diese Grenze hat sich in den letzten Jahren immer mehr verschoben.“

So, wie es aktuell sei, könne der Sozialstaat auf Dauer jedenfalls keinen Bestand haben: „Er muss deutlich vereinfacht und effektiver ausgestaltet werden. Zugleich muss der Personalaufwand erheblich reduziert werden.“ Dabei sei es mit punktuellen Änderungen innerhalb der einzelnen Leistungen nicht getan: „Sozialleistungen müssen den Menschen helfen, ihr Leben eigenständig zu gestalten. Bürger mit hohen Einkommen oder erheblichem Vermögen hingegen dürfen nicht auch noch durch steuerfinanzierte Leistungen gefördert werden.“ Zugleich müsse gewährleistet sein, dass sich Erwerbstätigkeit lohne. „Deshalb sollte die Förderung bei Erwerbstätigen stärker über Steuerfreibeträge erfolgen“, so der DLT-Präsident.

Von zentraler Bedeutung sei es zudem, Gesetze praxistauglich auszugestalten und die Verwaltung dadurch zu entlasten. „Bund und Länder dürfen keine Gesetze mehr beschließen, die nur mit Mühen umgesetzt werden können. Für die Prüfung, ob neue Gesetzentwürfe praxistauglich sind, muss ausreichend Zeit eingeräumt werden. Das ist in den letzten Jahren leider eklatant ins Hintertreffen geraten“, erklärte Brötel. Immer öfter werde die Anhörung der kommunalen Praxis aufgrund viel zu kurzer Beteiligungsfristen zur Farce.

Darüber hinaus fordern die Landkreise ein stärker pauschaliertes und automatisierbares Leistungsrecht. „Budgets und institutionelle Förderung sollten gestärkt werden“, sagte Brötel. Pauschalleistungen, etwa beim Bildungs- und Teilhabepaket oder bei Mehrbedarfen, könnten das Verfahren wesentlich vereinfachen. Auch die für die Leistung beizubringenden Nachweise müssten vereinfacht werden, damit die Bürger sie nicht mehrfach vorlegen müssen. „Sozialleistungen dürfen nicht in parallele Berechnungen von Jobcenter, Wohngeldstelle oder Sozialamt münden. Wir brauchen klare Strukturen, die sich auch technisch – etwa durch KI – automatisieren lassen, und zugleich eine kommunale Verankerung, um die persönliche Beratung vor Ort zu sichern. Denn Digitalisierung bedeutet nicht Zentralisierung, sondern verbessert eine effiziente kommunale Aufgabenwahrnehmung.“

Der DLT-Präsident betonte, dass es nicht nur um Detailkorrekturen, sondern um strukturelle Reformen gehe. „Wir brauchen deutlich mehr Deregulierung, Vereinfachung und einen Neuzuschnitt der Sozialleistungen. Das betrifft zum Beispiel die Integration von Wohngeld und Kinderzuschlag in das Bürgergeld. Über eine solche Bündelung wird man in der Kommission sicher zu diskutieren haben. Einfach ist das nicht, aber das ist ein Reformprojekt dieser Größe bekanntlich nie“, erklärte er. Auch bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen und bei der Pflege haben wir große Reformbedarfe.

Brötel warnte zugleich davor, die kommunalen Strukturen zu schwächen: „Es darf nicht passieren, dass der Sozialstaat vor Ort sein Gesicht verliert und die dem Bürger vertrauten kommunalen Strukturen auf diese Weise zerstört werden. Sonst hätten wir den Betroffenen Steine statt Brot gegeben. Vielmehr müssten die Leistungen soweit sinnvoll in kommunaler Hand zusammengeführt werden. Die Landkreise kennen die Menschen, sie sind nah dran, und sie tragen die Verantwortung für die Umsetzung. Deshalb gilt: Zusammenführung von Leistungen ja – aber mit Stärkung der kommunalen Handlungsmöglichkeiten und mit digitalen Lösungen für eine effiziente Verwaltung“, so der DLT-Präsident abschließend.

 

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